Trykt i "Orpheo". Modtaget pr. mail 29/9 2000
Rossinis Otello in Dänemark
Ein dänischer Rossini-Fan hatte die Idee und den Mut Rossinis Otello als Tourenproduktion auf die Beine zu stellen, begeisterte dafür einen Provinzchor und ein Kammerorchester, ein paar Leute für die Bühnenbelange und engagierte als Sängern u.a. die besten Leute, die er in den Jahren zuvor bei ROSSINI in Wildbad gehört hatte. Dazu gewann er noch keinen geringern als William Matteuzzi als Vocal-Coach. Nur leider machte das Projekt nach der Premiere finanziellen Schiffbruch, und die dänische Boulevardpresse titelte: „Internationale Sängertruppe in Provinzhotel gestrandet". Eine Situation, wie wir sie sonst nur aus metatheatralischen Opern à la Viva la Mamma kennen. Doch damit war das Interesse im ganzen Land geweckt, dank zahlreichen Kleinsponsoren und dem Mitziehen der Interpreten konnten noch zwei weitere Aufführungen stattfinden. Jene vom 19. September auf der alternativen Kopenhagener Bühne „Den Anden Opera" war ein Sternstunde ersten Ranges.
Zunächst war das Erstaunliche, dass das aus nur zwölf Spielern bestehende Storströms Kammerensemble die Oper ohne Substanzverlust spielte; bei geschlossenen Augen hätte man das Fehlen des restlichen Klangkörpers nicht bemerkt. Paul Terracini war es gelungen, die Instrumentalbesetzung auf das Wesentliche zu reduzieren und das Stück mit einem hervorragenden Gespür für rossinische Tempi und Dynamiken zu leiten – übrigens ohne einen einzigen Takt zu streichen. Harald Quaaden war ein bestechender Otello. Gegenüber seinen früheren Auftritten als Leicester, Argirio und Rinaldo hat seine Stimme an Leuchtkraft gewonnen und seine fast bassmässige Tiefe hat er noch einmal ausgebaut, ohne Verlust bei Höhe und Agilität. Endlich ein Sänger, der den Begriff „Baritenore" vollkommen erfasst hat und ihn umsetzt! Die in dieser Oper so wichtigen Rezitative gestaltete er mit einer raren Perfektion und das Duett mit Jago habe ich noch nie so überzeugend gehört. Inga Balabanova war nicht die melancholische, von Todesahnung erfüllte Desdemona, sondern eine entschlossene, selbstsichere junge Frau, die zu ihrer unkonventionellen Liebe steht. Dabei fehlten ihr nicht die pathetischen Töne im Duettino des ersten und der Weidenarie des dritten Aktes. Atemberaubend entwickelte sie ihren mezzogefärbte Sopran in der grossen Arie zum Schluss des zweiten Aktes, wo sie ihre ganze Durchschlagskraft bei voller Intonationssicherheit und Koloraturgewandtheit unter Beweis stellen kennte. Wenn jemand noch auf dem dramatischen Koloratursopran für die Colbran-Rollen gewartet hat: hier ist er! Ricardo Bernal triumphierte trotz einer kleinen Indisposition mit seiner strahlenden Tenorstimme koloraturenreich und mit nobler Attitüde in der Partie des Rodrigo, deren hohe aber nicht extreme Tessitur (verglichen mit jener des Corradino, vor drei Jahren in Wildbad) ihm keinerlei Probleme bescherte. Mads Elung-Jensen kompensierte mit der spielerischen Gestaltung des schmierigen Jago den vokalen Teil dieser Partie, mit dem er von Haus auf nicht vertraut ist aber sich dennoch mit Anstand an das Niveau seiner beiden Tenorkollegen annäherte. Die Mezzopartie der Emilia erhielt durch Carla Regina eine gewichtige contraalte Einfärbung. Vokale und darstellerische Statur bot der Bassist Hans Lawaetz als Elmiro und edlen Tenorklang aus der Ferne der Gondoliere von Sandro Ferri.
Nicht wenig zum Erfolg trug auch der Laienchor CANTEMUS bei, der trotz seiner zahlreichen älteren Semester mit grossen Engagement bei der Sache war, und dessen Mitglieder, die nicht kostümiert werden konnten, vom Bühnenrand aus den Klang verstärkten.
Mit den minimalen Mitteln und dem Sinn für das Essentielle im Musiktheater entstand eine mustergültige Inszenierung. Der Ort des Geschehens war mit dem geflügelten Löwen und einem maurischen Bogengang (Bühne: Jean-Michel Petot) genügend angedeutet, und die herrlichen Kostüme (Lotte Dreyer) versetzten uns mitten in das zeitliche und soziale Milieu der Venezianer Dogenrepublik. Lars Kaaber hatte einige schöne Ideen (wie die Bibel, die Elmiro bei den Worten „deh giura" hochhält und die ihm vom plötzlich ins Hochzeitsfest einbrechenden Otello aus der Hand gerissen wird) und beschränkte seine Personenführung auf das Wesentliche, das sich nie von dem Inhalt entfernte oder die Sänger bei ihrem primären Job, dem Singen, hinderte. Von dieser absolut werkdienlichen Berufsausfassung könnte sich mancher sogenannter Regisseur einen Teil abschneiden.
Die Aufführung in Naestved litt unter einigen Imperfektionen (wie das Saallicht der Turnhalle, das sich immer wieder automatisch einschaltete) und ein einem opernungewohnten Provinzpublikum, das nach jeder Phrase, nach jedem Auf- und Abtritt wie in einer TV-Show wild applaudierte. Im übrigen zeigte sich aber auch hier, dass Rossini selbst im windigen Norden Begeisterung auslöst – man muss ihn nur spielen!
Reto Müller